Der volle Bewegungsablauf gegen Teilwiederholungen…
Jeder, der sich schon mal in einem Fitness-Studio befunden hat, wird gesehen haben, dass die Bewegungsabläufe verschiedener Trainierender bei ein und der gleichen Übung ungefähr genau so individuell sind, wie die Chance hoch ist, dass wir dieses Jahr in Deutschland wieder schneller kalte Temperaturen haben als uns lieb ist. 😉
Naja, ganz so individuell nun auch wieder nicht..
Im Kraftsport beschreibt die ROM die Range Of Motion, übersetzt wird dies häufig mit Bewegungsablauf oder Bewegungsbereich. Ebenfalls korrekt übersetzt würde dies ziemlich genau „Reichweite der Bewegung“ bzw. Bewegungsreichweite bedeuten.
Da sowohl Bewegungsablauf und als auch Bewegungsbereich beide den Artikel „der“ benötigen, es aber eigentlich um die Reichweite geht, eben die „Range“, werde ich im folgenden ausschließlich die als Artikel für ROM verwenden.
Es geht bei der ROM also um die Bewegungsreichweite.
Wem das noch nicht genügt, weil es wirklich ziemlich hakelig zu erklären ist, dem kann ich ein Beispiel anhand des Bankdrückens anbieten:
Wir fangen an und heben die Langhantel heraus, die Langhantel ist also nun in der höchstmöglichen Position.
Würde man nun die volle ROM verwenden, würde die Langhantelstange bei der negativen Bewegungsphase das Brustbein berühren, bevor sie wieder in der positiven Bewegungsphase in die höchstmögliche Position gebracht wird.
Würde man nur einen Teil der vollen ROM verwenden, dann würde die Langhantel beispielsweise nicht tiefer gehen als im 90-Grad-Winkel im Ellbogengelenk. Oder sie würde noch etwas tiefer gehen, aber dafür nicht ganz nach oben. Oder sie würden zwar die Brust berühren, aber dann nur 50% des Weges nach oben gehen. Es gibt viele Möglichkeiten.
Jedenfalls spricht man dabei von einer „partial ROM„, einer anteiligen Range Of Motion sozusagen.
Neudeutsch würde ich dazu Teilwiederholung sagen.
Eine Teilwiederholung ist es also demnach, wenn man nicht die volle Reichweite bei der Bewegungsausführung verwendet. Ich nenne das auch gerne halbe Wiederholung, weil damit meistens ca. 50% der regulären bzw. vollen Bewegung abgedeckt wird.
Für den ein oder anderen, der ausschließlich mit Teilwiederholungen trainiert (möglicherweise sogar ohne es zu merken), nennen sich solche Wiederholungen einfach Wiederholungen.
Manche Trainierende verwenden ganz bewusst nur Teilwiederholungsreichweiten, z.B. beim Bankdrücken oder bei den Klimmzügen, entweder weil die Kraft für den vollen Bewegungsablauf fehlt (und man mit den Teilwiederholungen auf eine höhere Wiederholungszahl kommt) oder weil man irgendwann mal gelesen hat, dass Teilwiederholungen entweder besser für den Muskelaufbau oder verletzungsärmer sind.
Was sind Teilwiederhoungen nicht?
Richtig, besser für den Muskelaufbau oder verletzungsärmer.
Teilwiederholungen (PRM) sollen besser für den Muskelaufbau sein, weil man so eine höhere Spannung in der Muskulatur aufrecht erhalten kann, im Gegensatz zur vollen ROM (FRM), bei der sich der Muskel manchmal entspannen kann.
Man verhindert also das Absinken der Muskelspannung, indem man die „unliebsamen“ Teile der Bewegung einfach auslässt. So lastet die Spannung durchgängig auf den Muskelfasern und der Muskel findet keine Zeit zum Entspannen.
Grundsätzlich geht diese Denkweise in eine falsche Richtung. Das Ziel beim Muskelaufbausport ist es, die Muskulatur zu vergrößern und nicht die größtmögliche Spannung auf einigen vergleichsweise wenigen Muskelfasern aufrecht zu halten.
Indem man nicht die volle ROM verwendet, spricht man auch nicht alle verfügbaren Muskelfasern eines Muskels an – ganz einfach. Man kann nicht das maximale Muskelwachstum erreichen, wenn man nicht die maximalen Möglichkeiten ausschöpft also, also den Bewegungsbereich nicht voll ausnutzt, um so viele Muskelfasern wie möglich zu rekrutieren und zu „überfordern“, also zum Wachstum zu reizen.
Das bedeutet wiederum aber auch nicht, dass man mit einer Teilwiederholung gar keine Muskulatur aufbauen kann. Es gibt sehr wohl Trainingstechniken die darauf aufbauen Teilwiederholungen zu machen. Aber das sind meistens Zusatzelemente, die kein eigenständiges Training darstellen.
Ich kenne niemanden, der in sein Fitness-Studio geht und sagt: „Heute mach ich bewusst nur 30-50% der möglichen ROM.“
Möglich ist hier eine Intensitätstechnik mit ins Training zu integrieren. Wenn man beispielsweise die volle ROM nicht mehr schafft und man noch 1-2 Teilwiederholungen ausführt. Zielführend ist es allerdings nicht, die ganze Zeit nur mit 50% des regulären Bewegungsablaufes zu trainieren.
Wie oben schon kurz angesprochen, trainieren manche Menschen mit einer PRM ohne es wirklich zu merken.
Beispielsweise wird bei den Klimmzügen nicht ausgehangen oder beim Bankdrücken nur zur Hälfte oder noch weniger heruntergegangen. Ebenso wird auch bei den Kniebeugen bzw. bei der Beinpresse nicht der volle Bewegungsablauf verwendet.. und die Liste lässt sich fortführen.
Häufig wurde den Trainierenden hier die Technik falsch vermittelt, indem sie beispielsweise nicht durch Fachpersonal sondern durch ebenfalls falsch Trainierende eingewiesen wurden oder es sich einfach im Laufe der Zeit aus Bequemlichkeit eingeschlichen hat.
Oder, und das ist auch möglich, das Fachpersonal hat aus Gründen der Fürsorge den Auftrag dies so zu übermitteln. Das ist insbesondere der Fall beim Bankdrücken, da hier immer noch angenommen wird, dass ein 90-Grad-Winkel schulterschonender ist.
Fakt ist jedenfalls, dass sich mit einem verringerten Bewegungsablauf deutlich mehr Gewicht verwenden lässt, weshalb viele insbesondere beim Bankdrücken oder z.B. der Beinpresse nur höchstens die Hälfte des Bewegungsablaufs verwenden. Das höhere Gewicht ist hier sicherlich schmeichelnd fürs Ego, aber mehr auch nicht.
Ich nehme mich da übrigens nicht raus.
Ich habe vor vielen Jahren angefangen mit einer Full ROM beim Bankdrücken. Als ziemlicher Lauch habe ich angefangen mit der Stange und musste mich mühsam hochkämpfen. 😉
Nach einigen Monaten und ein paar Hantelscheiben mehr pro Seite bin ich auf Empfehlung eines Trainers dann auf die 90-Grad-ROM-Version umgesattelt und konnte, nicht überraschend, mehr Gewicht verwenden.
Diesen Irrglaube, dass eine eingeschränkte ROM besser für das Schultergelenk ist, habe ich dann in den nächsten Wochen nach intensiver Recherche völlig verworfen.
Seitdem trainiere ich grundsätzlich immer mit der vollen Range Of Motion und kann es auch nur so weitergeben.
Insbesondere beim Bankdrücken ist es eine Technikfrage, ob die Übung stark schulterbelastend ist oder nicht. Es geht weniger um die Länge des Bewegungsablaufs sondern um die Technik des Drückens an sich.
Ein 90-Grad-Winkel mindert hier das Risiko sich mit einer schlechten Technik zu verletzen, aber: Die richtige Technik kann man nur lernen, wenn die Hantel tatsächlich das Brustbein berührt.
Daher kann ich hier nur jedem den Tipp geben moderates Gewicht zu verwenden und die Technik sauber und anständig zu üben. Viele Sportler berichten von Schulterproblemen durch das Bankdrücken, die nicht durch die 90-Grad-Technik behoben wurden, sondern erst durch das Erlernen der korrekten Technik.
Ähnliche Leidensgeschichten gibt es bei keiner Übung. Wenn man bei den Klimmzügen beispielsweise nur Teilwiederholungen ausführt, dann verändert das am Verletzungsrisiko nichts. Mit Übungsausführung rekrutiert man nur weniger Muskelfasern, der Wachstumsreiz kann also nicht genau so groß ausfallen, als würde man den vollen Bewegungsablauf verwenden. Dennoch kann man Muskulatur aufbauen bzw. stärker werden ohne die volle ROM zu verwenden. Klassisches Beispiel dafür sind isometrische Übungen, bei dem das Gewicht mit Muskelspannung gehalten wird – ohne das man sich (willentlich) bewegt.
Hängt man sich zum Beispiel mit Hilfe an eine Klimmzugstange, ohne das man überhaupt eine einzige saubere Wiederholung alleine schafft, dann trainiert man den großen Rückenmuskel damit auch – isometrisch. Das macht man so lange, bis man sich nicht mehr halten kann.
Nach einigen Wochen kann man dann womöglich bereits erste Wiederholungen ausführen – die Kräftigung der Muskulatur kam hier bei durch isometrisches Training. Es funktioniert auch.
Mit der Gleichung „volle Bewegungsreichweite = stärkster Muskelaufbaureiz“ ist es nicht erledigt, denn es gibt auch Szenarien, die das Verwenden einer PRM notwendig machen.
Dazu gehören z.B. Bewegungseinschränkungen, die es unmöglich machen die volle Bewegungsreichweite zu verwenden, beispielsweise aufgrund von Knie-, Ellbogen oder Schulterschädigungen.
Die volle ROM dann nicht mehr ideal. Die ideale ROM ergibt sich dabei aus der noch möglichen Bewegungsreichweite und womöglich, auf Anweisung der behandelnden Medizinern, zur Therapie und Heilung etwas kürzer.
Aus diesem Grund heraus wurde ein spezieller Begriff geprägt: „Optimal Range Of Motion“ (ORM).
Jeder Körper ist anders, die ORM ist individuell und bei jedem Menschen anders.
Manch einem bekommt eine volle Bewegungsreichweite nicht. Es gilt herauszufinden, ob man den vollen Bewegungsbereich schmerz- und beschwerdefrei ausführen kann.
Verwende, sofern es möglich ist, immer die optimale Range Of Motion für deine Bewegungsabläufe.
Manchmal entspricht dies genau der vollen Range Of Motion – in einzelnen Fällen aber auch nicht. Das musst du bei jeder Übung individuell herausfinden.
Mehr Gewicht zu verwenden als man überhaupt in der Lage ist zu bewältigen unterstützt deinen Muskelaufbau nicht optimal und resultiert meistens in Teilwiederholungen, die nicht alle deine Muskelfasern rekrutieren können.
Setze halbe Wiederholungen kurzfristig ruhig als Intensitätstechnik ein. Achte dennoch auf eine saubere Technik um Verletzungen zu vermeiden.
Viel Erfolg! 😉
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