Dehnen vor oder nach dem Sport?

von Patrick

Muss man sich dehnen? Wann sollte man sich dehnen? Dehnen vor oder nach dem Sport?

Dehnen vor oder nach dem Sport?

Einseitige Belastungen und wenig Bewegung im Alltag können Ursachen für verkürzte Sehnen und Muskeln sein.

Einige Sportler schwören darauf, sich vor einem Kraftworkout oder einem Cardiotraining zu dehnen, einige Sportler danach und einige Menschen dehnen sich nie, ohne dass sich die Sehnen und Muskeln verkürzen. Wann sollte man sich idealerweise dehnen?


Muss man sich dehnen?

Eine simple Frage erfordert eine simple Antwort: Nein, grundsätzlich muss man das nicht.

Wer im Training seine Muskulatur stets über die volle Bewegungsreichweite trainiert und sich auch sonst wohl und beweglich fühlt, der muss sich keineswegs dehnen. Die volle Bewegungsreichweite beinhaltet ja eine Dehnposition – das alleine verhindert bereits eine Verkürzung der Muskulatur.

Sobald man aber Anfälligkeiten oder Bewegungsschwierigkeiten wahrnimmt, die einen den Alltag erschweren oder sich einfach lästig anfühlen oder man beispielsweise aus sportlichen Gründen plötzlich eine höhere Dehnbarkeit benötigt (z.B. für eine Kampfsportart, oder eine andere Sportart wie z.B. Turnen oder Klettern) sollte man sich zwangsläufig regelmäßig dehnen.
Ein Sonderfall sind körperliche Dysbalancen (Haltungsschwierigkeiten), z.B. bei einer verkürzten Brustmuskulatur, wodurch man seine gerade Oberkörperhaltung verliert. Da kann regelmäßiges Dehnen der Brustmuskulatur wahre Wunder bewirken und schnelle Abhilfe schaffen.

Ein gutes Stichwort ist beispielsweise „Wenig Bewegung in einem Bürojob“. Millionen Arbeitnehmer in Deutschland sitzen tagtäglich viele Stunden an einem Schreibtisch. Möglicherweise noch in einem Stuhl, der ergonomisch nicht wirklich der körpereigenen Ergonomie passt. Verkrampfungen und Verkürzungen können die Folge sein.

Wer sich zur Erhaltung seiner Beweglichkeit oder aus Gründen der Vorsorge (wir werden ja alle nicht jünger) dehnen möchte, kann dies natürlich auch tun, auch ohne Bürojob.


Dehnen vor dem Krafttraining? Achtung!

Passives Dehnen vor dem Kraftworkout ist ein beliebtes Mittel, um die Muskulatur (sowie Sehnen, Bänder, Gelenke) vor einer Trainingseinheit im Fitness-Studio aufzuwärmen. Dabei wird eine Dehnposition eingenommen und für etwa 5 bis zu 20 Sekunden gehalten. Beliebt ist es, weil es viele tun und es sich viele abschauen. Aber ist es auch geeignet und vor allem dem Training förderlich?

Nein. Passives Dehnen vor einem Krafttraining ist nicht geeignet, um sich körperlich besser auf die bevorstehende Belastung einzustellen. Dadurch wird die Muskulatur entspannt. Die natürliche Grundspannung der Muskulatur (um im Notfall sofort Leistung bringen zu können) wird sogar noch gesenkt. Einen erkennbaren Nutzen vom Dehnen vor einer Krafteinheit, gibt es nicht. Du entspannst die Muskulatur, die gleich Höchstleistungen vollbringen soll und das kann sehr gefährlich werden und beispielsweise zu einem Muskelfaserriss führen.

Besser ist hier ein muskuläres Warm-Up-Programm. Trainiert man den Oberkörper, dann wärmt man den Oberkörper beziehungsweise gezielt die Muskulatur auf, die man anschließend trainiert. Dazu macht man Aufwärmsätze oder gar Aufwärmübungen vor der üblich schweren Belastung. Ein 10-minütiges Gehen zum Aufwärmen auf dem Laufband verfehlt z.B. die Wirkung vor einem Oberkörpertraining, auch wenn es den Kreislauf in Schwung bringt und deshalb gut ist.
Nach so einem Aufwärmen sollten man jedoch definitiv noch 2-3 Aufwärmsätze vor dem ersten schweren Satz ausführen.

Trainiert man die Beine, dann wärmt man vorher die Beine auf. Dazu eignet sich Gehen, Joggen oder auch Fahrradfahren, aber aufgrund der absoluten Unterschiedlichkeit der Belastungen empfehle ich auch hier mindestens 1-2 Aufwärmsätze vor dem ersten „Arbeitssatz“.


Dehnen nach dem Krafttraining?

Ein intensives Dehnprogramm nach dem Training belastet die durch das Training gereizten (verletzten) Muskelfasern erneut und verlängert so die Regenerationsphase leider zusätzlich.

Ein leichtes und kurzes Dehnprogramm in Anschluss an das Krafttraining nimmt die Spannung aus der Muskulatur, die verkürzten Muskeln entspannen sich. Dehnen sollte man sich hier jedoch maximal aktiv, nicht passiv. Nimm keine starre Haltung für 10-20 Sekunden ein, sondern bleibe in Bewegegung und führe, wie beim Kraftsport, kurze Wiederholungen aus.
Je intensiver das Workout war, desto kürzer sollte das Dehnen ausfallen, wenn man es denn gerne tun möchte.

Wer sich auch nach einem schweren Workout intensiv dehnen möchte, dem kann man es natürlich nicht verbieten.
Letztendlich muss jeder selber für sich entscheiden, was er oder sie denkt, was förderlich ist. 😉


Dehnen vor dem Laufen?

Ein Dehnprogramm vor dem Laufen hat genau so schlechte Eigenschaften wie vor einer Krafteinheit auch.

Zwar gilt bis zu einem gewissen Grad die Devise: „Wenn es sich gut anfühlt, warum dann sein lassen“, aber leistungssteigernd ist es eine verminderte Grundspannung hier ebenfalls nicht. Ein Dehnprogramm vor dem Laufen kann somit leistungseinschränkend sein und ist leider nicht in der Lage, dass Verletzungsrisiko zu senken.

Wer sich und seine Muskulatur vor einer längeren Laufbelastung aufwärmen möchte, der sollte sich kurz zuvor warmlaufen. Langsam loslaufen, moderate Sprints einlegen und sich Warmspringen bzw. Warmhüpfen ist hier das richtige Warm-Up-Programm. Übungen, die du aus dem Kraftsport kennst, kannst du hier ebenfalls gerne mit deinem Körpergewicht benutzen: Kniebeugen, Ausfallschritte, eventuell zusätzlich die Waden aufwärmen. Wenn deine Muskulatur auf Betriebstemperatur ist, arbeitet sie am besten.


Dehnen nach dem Laufen?

Nach dem Joggen ist es förderlich, da eine leichte läuferische Belastung weitaus weniger „schädlich“ für die Beinmuskulatur ist, als beispielsweise schwere Kniebeugen in einem Krafttraining. Das Dehnen hier kann regenerationsfördernd sein.

Nach intensiven läuferischen Belastungen, beispielsweise Sprints, Intervallläufen (oder ähnlich artigen Belastungen, wie z.B. Fußballspielen), sollte das Dehnprogramm im Anschluss auch nur leicht, kurz und aktiv durchgeführt werden.


Dehnen vor und nach anderen sportlichen Belastungen?

In vielen Sportarten geht es weniger um die Grundspannung der Muskulatur sondern um die Beweglichkeit der Gelenke.
Vor dem Kampfsport beispielsweise kann ein Vordehnen eine verbesserte Beweglichkeit ermöglichen.

Anwendbar ist diese Erkenntnis auch aufs Turnen, gewisse Tänze, Gymnastik oder beispielsweise einem Hürdenlauf.
Ein Nachdehnen ist bei diesen sportlichen Belastungen meistens bedenkenlos. Muskuläre Belastungen in diesen Sportarten sind deutlich geringer als beim Kraftsport. Natürlich ist die ein oder andere Ausführung im Turnen kraftintensiv, aber nicht langandauernd oder muskulär so belastend, wie ein intensives Kraftprogramm.


Du möchtest beweglicher werden bzw. Haltungsdefizite ausbessern?

Nutze die Tage, an denen du deine Zielmuskulatur, bei der du flexibler werden möchtest, nicht belastet hast und nicht belasten wirst. Wenn du beispielsweise eine Verkürzung in der Brustmuskulatur feststellst und z.B. am Montag dein Brusttraining absolviert hast, dehne dich einfach um die Tage Freitag bis Sonntag herum. Dienstag bis Donnerstag bleiben zur Regeneration deiner Brustmuskulatur unangetastet, wobei du Donnerstag sicherlich schon ein leichtes Dehnprogramm durchführen könntest.

Nimm dir dann beispielsweise Freitag und Samstag die Zeit und investiere jeweils 5-10 Minuten in ein ausgiebiges Dehnprogramm.

Diese Empfehlung, unbelastete Muskeln zu dehnen, gilt für jeden Muskel!


Fazit

Es ist mittlerweile wissenschaftlich bewiesen, dass durch Vordehnen die Schnellkraft (und somit die Sprunghöhe) abnimmt. Warum dehnen sich manche Profi-Basketballer oder Profi-Volleyballer dennoch vor einem Match? Weil neue wissenschaftliche Erkenntnisse meistens Jahre brauchen, bis sie überbracht und angewandt werden. Oder weil sie einfach nicht interessieren. Eine wissenschaftliche Erkenntnis ist keine Regel, kein Gesetz und was sich gut anfühlt, fühlt sich gut an.

Was ich damit sagen möchte: Jeder muss den eigenen richtigen Weg finden. Das hier sind Tipps, die diesen Weg erleichtern sollen.

Viel Erfolg! 😉

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